„Der Salat machte mich zum „Wessi.“
Ein Interview von Sarah Rahman (Klasse 10a) mit Frau Nehse (Lehrerin für Mathematik und Französisch).
Am 16.12.2019 habe ich ein Zeitzeugengespräch mit Frau Nehse geführt. Im Gespräch mit ihr ist mir eine Geschichte besonders gut im Gedächtnis geblieben. Freunde hatten Frau Nehse zu einem privaten Treffen in Ost-Berlin, noch im Jahr 1989, ziemlich bald nach dem Mauerfall mitgenommen. Da damals die Mauer noch nicht ganz weg und die Teilung der Staaten auch noch vorhanden war, gab es weiterhin Unterschiede zwischen den zwei Staaten und den Menschen. In der Bundesrepublik gab es Lebensmittel, die es in der DDR nicht in jeder Saison gab. Frau Nehse brachte einen selbstgemachten Salat zu der Einladung mit. Als sie dann beim Essen eine kleine Pause machte, sahen manche ihrer Freunde eine bestimmte Zutat (an welche konnte Frau Nehse sich nicht mehr erinnern) im Salat und sprachen sie daraufhin an. So kam erst heraus, dass Frau Nehse aus der Bundesrepublik und nicht aus der DDR stammte. Außerdem habe ich noch viel mehr über sie und ihre Denkweise damals herausgefunden.
Ihr Erleben des 09.November 1989
Meine Zeitzeugin war 25 Jahre alt, hat im damaligen geteilten Berlin im Westteil gelebt und studierte. Am 09. November 1989 erlebte sie einen ganz normalen Tag. Als dann abends bekannt gegeben wurde, dass die Mauer „gefallen“ sei, war sie zu Hause. Den „Mauerfall“ hat sie nur durch die Nachrichten im Fernsehen mitbekommen. Sie hat in Wilmersdorf gewohnt, was bedeutet, dass sie nicht im (heutigen) Stadtzentrum und unmittelbar an der Mauer lebte. Für sie war es kein großes Problem mit der Mauer zu leben, da sie mit der Mauer aufgewachsen und diese in ihrem Leben schon immer da war. Doch für ihre Eltern war dies anders. Ihre Eltern hatten schon gelebt bevor die Mauer errichtet wurde und dann auch als die Mauer stand. Für ihre Eltern war es nicht sehr schön als die Mauer errichtet wurde, da sie davor ohne die Mauer gelebt hatten und das Leben ohne Mauer kannten. Für Frau Nehse war es aber sehr komisch, könnte man sagen und sie begriff damals nicht ganz, was der Mauerfall jetzt zu bedeuten hatte.
Am nächsten Tag ging sie wieder ganz normal zur Uni. Ihr war der Mauerfall nicht ganz bewusst und es hatte sie auch nicht interessiert.
Erst etwas später als schon etwas Zeit vergangen war, erkannte sie immer mehr, wie wichtig der Tag eigentlich für sie sowie für die Politik und Geschichte war und was für eine Bedeutung der Tag eigentlich hatte. In Ost-Berlin hatte sie keine nahen Verwandte oder Bekannte, weshalb sie erstmal sich nicht freuen konnte, Freunde oder Familie wiederzusehen. Heute würde sie schon eher sagen, dass sie froh darüber ist, dass die Mauer nicht mehr steht und Berlinn vereint ist.
Ihre Hoffnungen und Befürchtungen
Der 09. November 1989 war für Frau Nehse kein besonderer Tag wie für manch andere. Zumindest damals. Sie hatte keine wirklichen Hoffnungen, da sie in West-Berlin lebte und sie ihr Leben gut fand. Sie war zu Anfang etwas skeptisch was die Auswirkungen des Mauerfall angingen, da sie es zum Beispiel nicht so gut fand, dass nur das Regierungssystem aus dem Westen übernommen wurde und nicht diskutiert wurde, was im Regierungssystem in der DDR und was im Westen gut war, sondern gleich das Westsystem übernommen wurde.
Ost-Berlin, West-Berlin und Heute
„Für mich war es wie ein weißer Fleck auf der Landkarte“. Das sagte Frau Nehse während unseres Interviews. Als sie mit ihrer Familie mal nach Ost-Berlin gefahren ist, sah sie, dass die Häuser alle relativ gleich aussahen. In ihrer Wahrnehmung eher trüb und grau. Im Gegensatz dazu sah West-Berlin sehr eher fröhlich aus, sagte sie. Die Häuser hatten nicht alle dieselbe Farbe, waren nicht kaputt oder noch übersät mit Einschusslöchern aus dem Zweiten Weltkrieg. In der Bundesrepublik hatte man fast so wie heute gelebt, sagte sie mir. Man hatte viel Freiheit und konnte Vieles tun, was man im Osten Berlins nicht machen konnte. Außerdem fiel ihr auf, dass es dort keine Werbung und Werbeplakate gab. Da das Regierungssystem der Bundesrepublik übernommen wurde, gibt es heutzutage keinen großen Unterschied zur damaligen Zeit außer, dass die Mietpreise deutlich erhöht sind, sagt Frau Nehse. Außerdem konnten die Menschen in der Bundesrepublik das Fernsehen der DDR schauen, die Menschen in der DDR aber kein West-Fernsehen schauen, was aber dennoch Viele trotzdem gemacht haben. Heute kann jeder jeden Sender schauen und es gibt sogar eine viel größere Auswahlmöglichkeit an TV-Sender als damals.
Leben in der Bundesrepublik
Ihr Leben früher glich dem Leben heute im vereinten Berlin. Allerdings war es nicht möglich, spontan einen Ausflug in das Umland von Berlin zu unternehmen, was sie heute gerne tut. Frau Nehse wundert sich noch heute, warum sie damals das Leben in einer eingemauerten Stadt als „normal“ empfand.
Kurzbiografie
Vor dem Mauerfall musste Frau Nehse und ihre Familie, um in andere Länder oder Städte der Bundesrepublik fahren zu können Grenzübergänge passieren und ein Tranistvisum beantragen. Die Wartezeit an der Grenze, insbesondere vor 1972, betrug zu Ferienbeginn häufig drei bis vier Stunden. Sie konnte sich vor dem Mauerfall auch immer an der Mauer orientieren. Als die Mauer dann Stück für Stück abgebaut wurde, hatte sie keine gute Orientierung mehr und da sie sich in Ost-Berlin nicht so gut auskannte. Kurz nach dem Mauerfall beendete sie ihr Studium. Ihr erster Job war dann nach der Wiedervereinigungauch in Marzahn, im ehemaligen Ost-Berlin. Nach und nach hatte sie dann mit ihren Kollegen, mit denen sie sich auch angefreundet hatte, über die Zeit vor dem Mauerfall gesprochen und wie diese in der DDR gelebt haben. Außerdem darüber, wie diese es damals fanden, dass die Mauer „gefallen“ war. Sie fand, dass ihr Leben früher dem Leben heute sehr ähnelt, für sie sich nicht viel verändert hat und das Gesellschaftssystem dem Heutigen sehr ähnelt.