Häufig redet man nur von Ost- und Westdeutschen, wenn es um das Thema Wiedervereinigung geht. Keiner redet von der sogenannten „dritten Perspektive“. Die Perspektive der Menschen, die aufgrund der Trennung Nachteile erleben mussten, wie zum Beispiel die Kündigung der Wohnung oder der Arbeit – oder gar die Verfolgung durch Neonazis. Unsere Verwandten leben schon sehr lange hier in Deutschland. Doch zu ihrer Zeit war Deutschland nicht eins. Wir haben unsere Familienangehörigen gefragt, wie sie die Wende erlebt haben und ob sie mit ihren Aussagen die Meinungen der türkischen Community in Berlin bestätigen können, die sich durch die Wiedervereinigung als „Bürger dritter Klasse“ fühlte.
Die erste Befragte war die Tante von Ahmad. Sie heißt Jasmin Chahrour und lebte schon vor der Wende in der Bundesrepublik und dann in West-Berlin. Auf die Frage, wie sie den Mauerfall bewerten würde, meinte sie, dass es schön war, als Berlin nicht mehr geteilt war. Sie bestätigte aber auch die Tatsache, dass viele Ausländer ihre Arbeitsplatz verloren haben oder, wie ihr Ehemann, zu der Zeit keinen Job mehr bekommen haben. Sie sagte: „Ja, die Ostdeutschen wurden bevorzugt. Mein Mann wurde nach seiner Herkunft gefragt. Nachdem er gesagt hat, dass er Libanese sei, wurde das Telefonat kurz danach beendet.“
ADN- Oberst 24.4.90-Berlin: An einer Demonstration unter dem Motto „In- und Ausländer gemeinsam- Menschenrechte sind unteilbar“ beteiligten sich am Abend auf dem Alexanderplatz tausende Bürger aus beiden Teilen der Stadt. Von dort zogen sie zu einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus.
Ahmad hat auch seine Oma, seine Tante und seinen Vater gefragt. Seine Oma und auch seine Tante, die während der Zeit beide hier in Deutschland lebten, haben ähnliche Antworten gegeben: „Wir kamen damals mit 5 fünf kleinen Kindern und drei Jugendlichen und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Dein Opa war damals schnell auf Jobsuche, aber sie haben ihm keinen gegeben, da der Job angeblich schon belegt gewesen sei. Wir wurden Gott sei Dank von niemandem bedroht. Ich habe mitbekommen, dass viele Gastarbeiter bzw. „Ausländer“ verfolgt und sogar getötet wurden. Es ist echt tragisch, dass heutzutage nur über Ost- und West-Berliner geredet wird.“
- Ahmads Vater zog 2001 nach Berlin. Sein Bruder riet ihm nach Deutschland zu kommen. Zuerst wollte er nach London ziehen. „Dein Onkel sagte mir, ich solle nach Berlin kommen. Dort ist es schön und friedlich. Hier kann man gut Leben, sagte er. Hier ist es nicht unglaublich heiß wie im Leben.“ Er entschied sich letztlich nach Berlin zu ziehen. Jedoch sagte er, dass er im Flieger nach Berlin, Gedanken machte, ob es wirklich der richtige weg war. „Als ich kurz vor der Landung war, dachte ich mir, was wenn ich keine Arbeit finde oder was ist wenn es hier doch nicht so friedlich ist.“ Mein Vater lernte ein Jahr später meine Mutter kennen. Wir leben unser Leben lang schon in Neukölln, damals im Westen (BRD). Mein Vater kam davon mit, aber machte sich nicht allzu große Gedanken darüber. Er dachte sich, dass es schon 11 Jahre her war und es ihn direkt sowieso nicht trifft.
Der nächste Befragte (Zeki Ilter) hat keine emotionale Verbindung zur Wiedervereinigung, sondern war in Deutschland, um Geld zu verdienen, da man in der Türkei das Bild hatte, als gebe es hier alles im Überfluss. Seiner Familie gefiel das Leben in Deutschland und sie blieb hier. Er sagte: „Ich hab zu dem Tag der Wiedervereinigung keine emotionale Bindung, da ich weder Familie im Osten, noch Freunde und Bekannte dort hatte“. Er hat in Folge der Wende keine Diskriminierung erfahren, welche er zuvor nicht auch erfahren hatte.
Murat Soyoguz (Opa von Oktay) kam aus politischen Gründen nach Deutschland und hatte keine Erwartungen an das Land. Er hatte keine finanzielle Sicherheit und war demnach dankbar für seine Stelle beim Senat, die er aufgrund seines vorherigen Studiums der Volkswirtschaftslehre erhalten hat. Er hat vor allem dort Diskriminierung erfahren, wo der damalige Osten lag. Er spricht von einem Arbeitsmarkt, auf dem man gut Arbeit findet, sofern man nicht allzu wählerisch ist.
Ein Beitrag von Oktay und Ahmad