Ein Beitrag von Lukas Bormann
An einem Samstag morgen ist Achudhan Karunaharamoorthy auf dem Weg zum Albrecht-Dürer-Gymnasium, seiner alten Schule. Doch nicht mehr als Schüler. 2008 hat er hier sein Abitur gemacht. Vorgestern Abend ist er in der Schweiz, wo er seit einigen Jahren lebt, in einen Zug nach Berlin gestiegen. Für ihn eine Heimkehr, wie man an seinem WhatsApp Status sieht.
Vor kurzem hat er auf dem Instagram Account der Schule gesehen, dass nach ehemaligen Schülern gesucht wird, um einen Blick in die Vergangenheit der Schule zu werfen und das Schularchiv zu erweitern. Für Achudhan ein willkommener Anlass sich auf den Weg zu machen, um seine alte Schule zu besuchen und seinen Beitrag in einem Interview zu leis
Eine Reise zurück an einen schönen Ort
Auf dem Weg von der U-Bahn zum Ziel scheint sich wenig verändert zu haben. Immer noch dieselbe schmutzige Straße, die er vor nicht all zu langer Zeit noch jeden Tag hochgelaufen ist, um in die Schule zu kommen. Immer noch dieselbe Feuerwehrstation, von wo aus Fahrzeugen in regelmäßigen Abständen den Unterricht unterbrochen haben. Auch die Schule hat sich auf den ersten Blick nicht verändert. Nur ein zweites Tor scheint zum Schutz ergänzt worden zu sein. Als er durch das große Eingangstor geht, fallen ihm doch ein paar andere, neue Dinge auf. Den thronartigen Sessel auf dem Mosaikhof gab es bis 2008 noch nicht. Und als er auf dem Weg in den letzten Stock aus dem Fenster sieht, fällt ihm sofort auf, wie schön der Schulhof geworden ist.
Oben angekommen wird er von der strahlend bunten neuen Lackierung begrüßt, bevor er das Klassenzimmer betritt. Dort hat sich auch viel verändert. Zwar sind es immer noch die kleinen Tische und Stühle, auf denen er all die Jahre seiner Schulzeit verbracht hat, jedoch hängt jetzt ein Smartboard anstatt der Kreidetafel an der Wand. Auch wenn die Schule und er sich verändert haben, ist die Erinnerung immer noch da. Die Erinnerung an den Ort, der ihm in den vielen Jahren immer Freude bereitet hat. Die Erinnerung an seine Klasse, mit der er so viel Spaß hatte. Die Erinnerung an all die Fotos, die er gemacht hat, um Ausdruck zu finden. Die Erinnerung an eine der schönsten Zeiten in seinem Leben.
Ein sicherer Ort
Man sieht ihm an, dass er viel zu erzählen hat. Er hat kurze, schwarze Haare, einen kurzen Bart und dunkle Augen. Insgesamt ein sehr freundliches Gesicht, dem man ansieht, dass es schon viel von der Welt gesehen hat. Auch seine sehr jung klingende Stimme hört sich angenehm und freundlich an, als er sich vorstellt. Achudhan Karunaharamoorthy. Ein Name, wie man ihn selbst in Berlin selten zu hören bekommt. Und mit Eltern aus Sri Lanka hat er sich in dem Haus voller türkischstämmiger Menschen, in dem er gelebt hat, etwas fehl am Platz gefühlt. In der Schule, auf der ADO, gab es dieses Gefühl jedoch nicht. In einer Klasse, die bunt gemischt aus allen Teilen Berlins zusammengekommen war, um in der neuen Schnellernerklasse das Abitur zu machen, fühlte er sich schnell angenommen und sicher. Anfangs merkte er noch einen Unterschied, vor allem in der Ausdrucksweise fühlte er eine Diskrepanz zu den anderen Schülern. Dass er dazu gehört und wie schön die Klassengemeinschaft ist, sollte er jedoch schon in seinem ersten Jahr herausfinden. Denn gleich am Anfang hielt die Klasse fest zusammen, um ihn davor zu bewahren von der Schule zu fliegen, als er sich bei einer Mutprobe verletzt hat. Selbst Schüler, mit denen er vielleicht nicht das beste Verhältnis hatte, hielten zu ihm.
Danach wurde das Verhältnis zu den Mitschülern immer besser. Gerade weil es viele Probleme in der Welt gab. Gerade weil es am 11. September 2001 zu dem Terroranschlag auf das World Trade Center kam, sodass die Zugehörigkeit der Muslime in Deutschland angezweifelt wurde. Gerade weil die darauffolgenden Kriege kritisch im Unterricht diskutiert wurden. Durch all das ist die Klasse noch näher zusammengerückt. Und das in einer Zeit, in der das Schulsystem in Deutschland vor einem Abgrund stand. Am 26. April 2002 erschoss ein ehemaliger Schüler in Erfurt siebzehn Menschen. Und das war kein Einzelfall. Mehrmals kam es in dieser Zeit zu Gewalttaten an Schulen. Davon jedoch hat Achudhan nur wenig mitbekommen. Für ihn waren diese Ereignisse immer sehr weit weg. Selbst als es darin gegipfelt ist, dass die Lehrer des Rütli Campus einen offenen Brief an den Senat geschrieben haben. Einen Brief, in dem sie schrieben, dass sie sich aufgrund von Gewalt durch Schüler außer Stande fühlen weiter zu unterrichten. Und dies nur drei Kilometer von der ADO entfernt. Für Achudhan war die Schule aber immer ein sicherer Ort. An der ADO hat er von diesen sozialen Brennpunkten nichts gespürt. Für Achudhan waren die 2000er Jahre eine Zeit, in der Offenheit und Akzeptanz eine immer größere Rolle gespielt haben. Erst ein homosexueller Bürgermeister in Berlin und dann die Präsidentschaftswahl von Barack Obama, für ihn waren dies große Ereignisse. Als Obama im Rahmen seines Wahlkampfes im Sommer 2008 in Berlin war, ist Achudhan mit seinen Freunden anwesend, um ihn zu sehen.
Kein durchschnittlicher Schüler
Denn Achudhan ist ein sehr entdeckungsfreudiger und weltoffener Mensch. An der Schule ist er fast überall mit dabei. Ob der Chor, das Instrumentalensemble, Saxofon oder Klavier, an Musik hatte er immer viel Freude. Auch an vielen AGs hat er teilgenommen. Eine Weile hat er für die Schülerzeitung Texte verfasst, meistens über Schach, denn er durfte die Schach AG leiten. Für ihn eine große Ehre. Außerdem liebt Achudhan das Reisen. Später, aber auch schon in der Schulzeit, hat er sich keine Gelegenheit entgehen lassen neue Orte zu entdecken. Ob es allein am Wochenende war, oder mit der Schule. So machte er in der neunten Klasse beim Frankreich Austausch mit. Irgendwann kam ihm ein Gedanke: was, wenn er einen Schritt weiter geht? Was wenn er eine einzigartige Erfahrung machen kann? So strengte sich Achudhan am Ende der zehnten Klasse besonders an, um ein neues Ziel zu erreichen: Das Stipendium für ein Jahr in Amerika.
Die USA – der Wendepunkt
Diese Entscheidung stellt einen Wendepunkt in Achudhans Leben dar. Zum ersten Mal hat er sich für die Schule wirklich angestrengt. Denn nach Amerika kommt man nicht einfach so. Für das Stipendium braucht man ein sehr gutes Zeugnis, was Achudhan auch bekommen hat. Auch die Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks war für ihn ein Wendepunkt. Er sagte, dass das Auslandsjahr ihn zu einem viel offeneren Menschen machte. Auch sein Berufswunsch hat sich dort gebildet. Leider jedoch war es kein schönes Ereignis, das dazu geführt hat. Während seiner Zeit dort ereilte die Gastfamilie ein schwerer Schicksalsschlag. Aufgrund einer Krankheit verlor eine der Gastschwestern überraschend ihr Kind. Und das war nicht alles. Die andere Gastschwester, auch schwanger, hatte dieselbe Krankheit. Dieses Erlebnis, wie die Familie damit umgegangen ist, wie versucht wurde das zweite Kind zu retten, hat Achudhan zu dem Entschluss geführt anderen Menschen zu helfen. Arzt zu werden. Das war der zweite Wendepunkt in seinem Leben. Jetzt hatte er sein nächstes Ziel vor Augen. Ein gutes Abitur zu schreiben, um ein Medizinstudium anfangen zu können. Und nach zwei anstrengenden Jahren in der Oberstufe hat er es geschafft. Mit einem Abischnitt von 1,5 standen die Chancen gut, dass er an einer Universität angenommen wird. Und nach einem freiwilligen Jahr, in dem er in einem Labor gearbeitet hat, war es so weit. Im Sommer 2009 konnte er sein Studium an der Charité beginnen.
Die ADO hat eine Spur hinterlassen
Fünfzehn Jahre später ist Achudhan Arzt und Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche. Vor ein paar Jahren ist er in die Schweiz gezogen. Zwar hat er dort Familie, aber es war trotzdem ein großer Schritt, da er viele seiner alten Freunde aus der Schulzeit zurücklassen musste. Er liebt es aber immer noch zu reisen. Seine Freunde besucht er häufig und auch seine Gastfamilie in Amerika besucht er regelmäßig. Er hat immer noch sehr enge Bindungen aus seiner Schulzeit. Tatsächlich antwortet er auf die Frage, welche Verbindungen er noch zur ADO hat, dass eigentlich alle seiner engeren Freunde noch aus der Schulzeit stammen. Nach dem Interview macht Achudhan noch einen Rundgang durch das leere Schulgebäude. Ein letzter Blick auf den Schulhof, der sich so sehr verändert hat. Ein letzter Besuch des Lehrerzimmers, wo er drei seiner alten Lehrer, die noch immer an der Schule unterrichten, eine kleine Nachricht hinterlässt. Ein letzter Blick in sein Klassenzimmer, wo er all die Jahre eine schöne Zeit mit seiner Klasse verbracht hat.
Am nächsten Tag wird er sich mit seinen alten Freunden treffen. Der ADO-Gang. Freunde, mit denen er eindeutig der Meinung ist: „Wenn wir die Zeit zurückdrehen könnten, wir würden sie jeder Zeit nochmal erleben wollen“.