„Die bösen Grenzsoldaten, bei denen man nichts sagen durfte.“
Ein Interview von Rosali Moeske (Klasse 9a) mit Frau Nowak (Lehrerin für Biologie und Chemie).
In dem folgenden Text geht es um die Geschichte von Frau Nowak zur Zeit der Mauer in Deutschland. In dieser Zeit lebte sie in Horb am Necker im Bundesland Baden-Württemberg. Als die Mauer fiel, war sie sechs Jahre alt. Auch wenn sie weit weg von den Geschehnissen lebte und noch sehr jung war, hatte sie doch einige Berührungspunkte mit der Mauer. Durch diese Perspektive, die nicht so häufig erzählt wird, wurden mir viele und neue Aspekte der Mauergeschichte und damit auch der deutschen Geschichte eröffnet.
Erleben des 09.11.1989
Frau Nowak wuchs weit weg von der Mauer auf, in einer kleinen Stadt. Sie hat den Fall dem Fall der Mauer nicht direkt, sondern über die Medien miterlebt. Sie hat durch die Tagesschau im Fernsehen die spektakulären Bilder zusammen mit ihren Eltern gesehen. Wie sie selbst berichtete waren ihre ersten Reaktionen Freude, Überraschung und Ungläubigkeit. Doch die Freude überwog, sowie sie es auch in ihrem Umfeld wahrnehmen konnte. Diese politische Situation ermöglichte ihr und ihren Eltern die Verwandtschaft in Polen unkomplizierter zu besuchen.
Bedeutung der Mauer/Mauerfall
Mit ihren sechs Jahren wusste sie nicht viel über die Mauer. Doch was sie wusste war, dass die Mauer existierte und das sie Familien trennte. Für sie war es so, dass die Mauer die Entfernung zu ihrer Familie nach Polen vergrößerte und es ihr vorkam als wäre ihre Familie noch viel weiter weg als die Kilometeranzahl angab. Gelegentlich hatte sie das Gefühl, dass ihre Eltern darunter gelitten haben. In ihrem täglichem Alltag spielte die Mauer jedoch keine große Rolle.
Hoffnungen
Dadurch, dass sie noch sehr jung war, konnte sie nicht richtig beurteilen, ob die Mauer gut oder schlecht war. Deswegen waren ihre Hoffnungen bezogen auf die damaligen, aktuell-politischen Entwicklungen nach dem Mauerfall kaum vorhanden. Frau Nowak hatte die Mauer und die Teilung Deutschlands damals nur auf die Stadt Berlin bezogen und so z. B. im Fernsehen oder auf Deutschlandkarten im Schulatlas besonders die geteilte Stadt Berlin wahrgenommen. Dass die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR auch durch die anderen Bundesländer ging, war ihr als Kind nicht wirklich bewusst. Frau Nowak erfuhr keinerlei Einschränkungen durch die Existenz der Mauer, die ja auch schon stand, als sie geboren wurde und daher etwas Normales für sie darstellte. Daher verband sie mit dem Mauerfall auch keine besondere Hoffnungen.
Befürchtungen
Die Befürchtungen oder Ahnungen, die sie hatte, waren, dass „die Mauer und die Grenzen so bleiben“ und dass sie nicht so einfach zu ihrer Verwandtschaft nach Polen reisen könne. Wenn sie nach Polen reiste war die ganze Familie angespannt. Es wurde immer gesagt, dass man am besten nicht reden solle, wenn die Grenzsoldaten grimmig ins Auto schauten. Jedoch hatte sie bemerkt, dass ihre Eltern Vieles, was damit zusammen hing thematisierten. Auch die Verwandtschaft, die nach Deutschland besuchsweise einreisen wollte, musste in Polen eine Ausreisegenehmigung beantragen, welche manchmal aus politischen Gründen oder auch einfach so abgelehnt wurde. Dies war immer eine Sorge der Familie, weil man auch machtlos gegen solche Entscheidungen der polnischen Ausreisebehörde war.
Leben in der Bundesrepublik
Wie in der Einleitung schon erwähnt, hat Frau Nowak in der Bundesrepublik gelebt. Sie ist im Westen des geteilten Deutschland geboren und aufgewachsen. Das Leben in der Bundesrepublik Deutschland war für Frau Nowak und ihre Eltern nicht immer einfach, da die Eltern polnische Wurzeln hatten. Dies wurde von den Mitmenschen nicht immer akzeptiert, weshalb sich die Eltern bemühten nicht aufzufallen. Es gab auch Anfeindungen und Beschimpfungen.
Kleine Familiengeschichte
Die Familiengeschichte möchte ich mit den Eltern von Frau Nowak beginnen. Wie schon erwähnt haben beide Eltern polnische Wurzeln, sind also in Polen geboren. 1979, also vor ca.40 Jahren verließen die Eltern Polen. Der Vater erhielt ein Besuchervisum von der polnischen Botschaft nach Frankreich und die Mutter ein Besuchervisum nach Deutschland.
Gründe für die Ausreise waren: einerseits die Einschränkungen und politischen Einengungen in Polen, andererseits die besseren Möglichkeiten und Chancen in der Bundesrepublik. Sie waren 23 und 25 Jahre alt und gerade mit ihrer Ausbildunge fertig, sodass sie gute Aussichten für ihr weiteres Leben sahen. Als ihre Eltern ausreisen wollten, hatten sie „gute Sachen“, also Kleidung und Alltagsgegenstände gekauft, um in Deutschland gut zu starten. Als sie die Grenze passierten haben die DDR-Grenzsoldaten ihnen diese Sache abgenommen, mit dem Hinweis darauf, dass sie bei der Rückkehr nach Polen alle Gegenstände an der Grenze abholen könnten. Dies ist nie passiert, weil die Eltern wussten, dass sie niemals nach Polen zurückreisen würden.
Aufgrund der damaligen politischen Situation waren die Bundesrepublik und Polen offiziell sehr reserviert dem anderen gegenüber. Man wollte die Menschen, die aus Polen oder aus der DDR ausreisen wollten auf keinen Fall in die Bundesrepublik lassen. Der Konflikt ist daher zu erklären: Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Kalte Krieg zwischen dem so genannten Ostblock und den westlichen Alliierten. Den Ostblock bildeten die Sowjetunion und einige verbündete Länder, wie zum Beispiel Ungarn und Polen. Die Westmächte waren die USA und mehrere Verbündete, wie etwa Frankreich oder Großbritannien. Diesen Kalten Krieg nannte man auch Ost-West-Konflikt. Im Zweiten Weltkrieg hatten die USA und die Sowjetunion noch gemeinsam gegen Deutschland gekämpft. Nach dem Ende dieses Krieges gab es aber Spannungen und Streit zwischen den beiden Ländern: Zum Beispiel waren sie unterschiedlicher Meinung, wie sie Deutschland und Europa nach dem Krieg helfen und vor allem wiederaufbauen sollten.
In Baden-Württemberg fanden die Eltern von Frau Nowak dann ihre neue Heimat und wurden in der Stadt Horb ansässig. Weil ihre Eltern eine deutsche Abstammung nachweisen konnten. Die Stadt im Süden der Region Schlesien, die sie verließen, gehörte im Laufe der Jahrhunderte zu Polen wie zu Deutschland. Daher waren die Menschen dort mit beiden Kulturen und Sprachen vertraut.
Im November 1983 kam Frau Nowak zur Welt. 1989 zum Mauerfall, sie war erst sechs Jahre jung. Nach Aussage von Frau Nowak haben sich wenige Dinge im alltäglichen Leben verändert. Die Atlanten in der Schule haben sich geändert, da Deutschland jetzt nicht mehr geteilt war. Außerdem wurde das Thema „Berliner Mauer“ intensiver auch in der Schule behandelt. Familiär gesehen hatte sich die Lage sehr entspannt und man konnte sich so oft man wollte ohne Barrieren besuchen. Allgemein ist Frau Nowak sehr erleichtert über den Mauerfall und fasziniert über das Freiheitsgefühl, Dinge zu tun, die vorher nie möglich gewesen waren.
Abschließend kann ich sagen, dass ich die Perspektive von Frau Nowak anfangs als sehr schwierig empfand, weil sie 1989 noch so jung war und die Dinge nicht so sehen konnte wie ein Erwachsener. Aber im Laufe des Interviews habe ich gemerkt, dass ich ihre Sicht interessant finde und es doch mehr zu erzählen gab als ich vermutet hatte: Wie z. B. ihre Familiengeschichte über ihre Eltern und Großeltern, als auch die prägenden Berührungspunkte mit der Mauer und die mir dadurch eröffneten Aspekte der Geschichte der Mauer. Des Weiteren muss ich sagen, dass es nicht viele Geschichten von jüngeren Zeitzeugen gibt, die eben nicht alles hautnah miterlebt haben. Sie hat einige Aspekte berichtet über ihre Familiengeschichte, die ich sehr aufschlussreich fand und welche die Erzählung für mich spannend gemacht haben.
Durch die Familiengeschichte und die damit verbundenen Fahrten zu den Verwandten, die daraus resultierenden Ängste und Befürchtungen haben mich schon sehr beeindruckt und beschäftigt. So etwas kann ich mir kaum vorstellen. Deswegen habe ich mich für ein Zitat entschieden, welches mir nicht mehr aus dem Gedächtnis ging. Was mich während der Auseinandersetzung mit diesem Thema angetrieben hat. Das Zitat lautet: „Die bösen Grenzsoldaten bei denen man nichts sagen durfte“. Das Zitat spiegelt auch gut die Situation und die Atmosphäre wieder, die während der Grenzübergänge herrschte. Dadurch kann man sich schnell in die Lage von Frau Nowak versetzten und in die Verfassung, in der sie wohl gewesen sein muss. Es lässt sich außerdem durch das Zitat erschließen, worum es in der Geschichte gehen wird, nämlich um das Passieren der Grenze ihrer Familie im Auto. Ich finde es gut, dass ich mich mit diesem Thema auseinandersetzten konnte und viele neue Eindrücke und Geschichten kennengelernt habe.