„Die Mauer war ein No-Go“
Ein Interview von Micklas Hönicke (Klasse 10a) mit Herrn Berndt (Lehrer für Mathematik und Chemie).
Der 9. November 1989 war einer der bedeutendsten Tage in der Geschichte Deutschlands. Viele Menschen feierten die wiedergewonnene Freiheit und den Fall der Berliner Mauer.
Einer von ihnen war Roger Berndt. Geboren wurde er 1963 in West-Berlin. Da er zwei Jahre nach dem Bau der Mauer geboren wurde, war er mit der Mauer aufgewachsen und konnte sich daher bis zum 9. November 1989, gar nicht vorstellen, wie ein Leben ohne diese aussehen und ob diese jemals fallen würde.
Leben mit der Mauer aus der West-Perspektive
Bevor wir über den Mauerfall reden können, war es wichtig für mich, einen roten Faden, der sich durch das Interview ziehen soll, aufzuzeigen. Deswegen fokussierte ich mich zu Beginn des Interviews auf die Zeit vor dem Mauerfall. Dadurch gelang es mir, einen guten Vergleich zwischen dem Leben mit und nach der Mauer zu ziehen. Gleich am Anfang stellte ich eine der wichtigsten Fragen: „Wie haben sie das geteilte Deutschland wahrgenommen?“
Herr Berndt erklärte mir, dass es für ihn kein „Schwarz-und-Weiß-Denken“ gäbe und dass er es ja nicht anders kannte. Für ihn war die Mauer und das geteilte Deutschland normal und er hatte kein Problem damit. Vor allem als Kind. Doch je älter er wurde desto mehr interessierte ihn das Thema und er fragte sich, wie das Leben auf der anderen Seite wohl aussähe. Deswegen besuchte er den Osten sehr oft, da es für ihn einfach eine „ganz andere Welt“ war.
Bei einem dieser Besuche lernte er eine Lehrerin kennen, mit der er bis heute Kontakt hat. Sie ist jetzt Schulleiterin in Zehlendorf. Herr Berndt: „Ich habe sie erst kurz nach dem Mauerfall kennen gelernt, sie war noch im Studium, ermöglichte mir aber Einblicke in den Unterricht in der sich wandelnden DDR. Aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums des Mauerfalls habe ich den Kontakt wieder aufgenommen und wir wollen weiter in Kontakt bleiben“. Am stärksten fiel ihm der enorme Unterschied im Wert zwischen der Währung des DDR und der Bundesrepublik auf. Der Kurs war so unterschiedlich, dass man im Osten Schwierigkeiten hatte, sein eins zu eins getauschtes Westgeld von mindestens 25 DM loszuwerden, da Vieles in der DDR billig war. Dazu bemerkte Herr Berndt: „Dazu gab es im Osten Nichts, was es nicht auch im Westen gab.“
Seine Freunde waren meistens genauso aufgeschlossen, nur in der Familie wurde die Mauer nicht oft thematisiert, da sein Vater eine große Abneigung gegen die Sowjetunion aufgrund des Kalten Krieges hatte. Der politische Führungsanspruch der USA fand vor allem in der älteren Generation viele Befürworter, während die Generation von Herrn Berndt schon anfing, die Dinge zu hinterfragen. Denn obwohl es ihm gut ging und er eine unbeschwerte Kindheit genießen durfte, war auch in West-Berlin laut Herrn Berndt nicht alles in perfekter Ordnung. Obwohl die Bundesrepublik eigentlich alles besser machen wollte als die DDR, wurden alternative politische Bewegungen im Westen kritisch und Andersdenkende waren nicht gerne gesehen. Die Menschen in der Bundesrepublik hatten größere Schwierigkeiten mit ihrem eigenen politischen System als mit der Mauer. Wenn man sich allerdings damals über Missstände in der Politik der Bundesrepublik beschwerte, bekam vor allem die Jugend oft zu hören, man ‘‘könne ja in den Osten gehen, wenn es einem hier nicht passe‘‘.
Auch wurde die allgemeine Situation der Teilung von Berlin als nicht so relevant angesehen. Die Menschen, vor allem in West-Berlin, hatten sich weitestgehend an die Mauer gewöhnt und besprachen lieber, was man für den Frieden tun und wie man am besten gegen Atomkraft vorgehen könne. „Der Osten war weit weg“, kommentierte Herr Berndt.
Die Geisterbahnhöfe und die ‘‘westliche Blase‘‘ inmitten Ost-Berlins
Der Bahnhof Friedrichstraße war nicht nur exterritoriales Gebiet, sondern auch der Hauptgrenzübergang, der bevor die Mauer gebaut und das U-Bahn Netzwerk getrennt wurde, von vielen Leuten aus dem Osten zur Flucht genutzt wurde. Ab 1961 hielt die U6 und die Nord-Süd-S-Bahn zwischen Gesundbrunnen und Anhalter Bahnhof, die Berlin von Nord nach Süd durchfährt im östlichen Stadtteil ausschließlich in der Friedrichstraße.
An allen anderen Bahnhöfen auf dieser Linie standen bewaffnete Soldaten, die die Geisterbahnhöfe bewachten. Kurz vor der Wende war diese Strategie jedoch so stark vereinfacht, dass nur noch an der ersten und der letzten Haltestelle Soldaten standen. Außerdem fuhr die Stadt-S-Bahn vom Zoo kommend bis zum Bahnhof Friedrichstrasse. Die „Westler“ konnten ihn problemlos erreichen, konnten zwischen den Linien auch problemlos umsteigen, mussten aber, wenn sie den Bahnhof verlassen wollten, die große Grenzübergangsstelle durchqueren, die die meisten „Westler“ für die Einreise in die DDR nutzten. Am Bahnhof Friedrichstraße gab es zudem einen Duty-Free Laden, den viele Menschen regelmäßig nutzten, um sich zu betrinken und ein externes Rotes Kreuz. Nördlich des Bahnhofes war die Ausreise, auch „Tränenpalast“ genannt, organisiert. Dort meldeten sich alle Bürger, die das Privileg besaßen, die DDR verlassen zu dürfen.
Der entscheidende Tag
Ich fand es sehr interessant, dass Herr Berndt den Mauerfall am 9. November eher durch Zufall mitbekommen hat. Er erzählte mir, dass er an diesem Abend auf Gäste aus Münster wartete, die ihn besuchen wollten. Diese Gäste kamen natürlich zu spät, weil die Grenzübergänge komplett verstopft waren. Während er also auf diese Gäste wartete, sagt er, habe er den Fernseher angemacht und sich gewundert, warum die Tagesthemen zu dieser späten Zeit noch liefen. Diese berichteten natürlich darüber, was für ein denkwürdigen Tag heute doch sei, aber Herr Berndt sah leider nur das Ende und konnte sich daher nicht wirklich einen Reim auf diese ganze Geschichte machen. Er ist sich im Nachhinein nicht mehr ganz sicher, durch welches Medium er die Information über den Fall der Berliner Mauer nun letztendlich bekommen hatte. Als die Gäste dann endlich angekommen waren, kann er sich noch sehr gut daran erinnern, dass er derjenige war, der vorschlug, zum Ku-Damm zu fahren.
Nachdem am Ku-Damm verhältnismäßig wenig los war, sind sie dann nochmal zum Brandenburger Tor gefahren, wo deutlich mehr Menschen waren und feierten. Es war wie eine Reizüberflutung: während des 9. Novembers wurde nur an die Freude der neu gewonnenen Freiheit gedacht und nicht unbedingt an die daraus resultierenden Veränderungen. Obwohl die Menschen in West-Berlin zwar wussten, das es in der DDR so etwas wie die Staatssicherheit gab, sagte mir Herr Berndt, dass es für sie nur schwer vorstellbar war, ausspioniert und beobachtet zu werden: „Man konnte sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, in einem repressiven System zu leben.“ Am faszinierendsten fand ich jedoch den großen Respekt, den Herr Berndt vor der Mauer hatte: „(…) Ich habe gesagt ich geh nicht auf die Mauer. Also gar nicht, weil ich Angst hatte, sondern das macht man einfach nicht. (…) Für mich war die Mauer ein No-Go.“
Das Leben nach der Wende
Nach der Wende wurden Lehrer aus dem Osten im Westen eingesetzt und umgekehrt. Das sollte dafür sorgen, dass sich die Schule durchmischen und das Niveau angepasst wird. Dadurch kam Herr Berndt nach seinem Studium schließlich an eine Schule in Adlershof. Leider machte er an dieser Schule eine schlechte Erfahrung mit dem Schulsystem in der ehemaligen DDR. Einerseits wurde er von seinen Kollegen behandelt, als würde er nicht dazu gehören, weil diese sich möglicherweise ‘‘bedroht’‘ gefühlt haben und andererseits missfiel ihm das autoritäre System an der Schule so sehr, dass er sie nach kurzer Zeit wieder verließ: „Ich habe gemerkt, dass ich an eine sehr autoritäre Schule geraten bin, bei der sich die Fachbereichsleiter plötzlich wie Chefs aufgeführt haben“, merkte er dazu an. Eine vertraute Kollegin mit Ost-Biographie teilte mir aber mit, dass dies nicht der Regelfall in Ost-Schulen sei.
Herr Berndt hatte mir von Anfang an klargemacht, dass nach der Wende neben Freude und Hoffnung auch Bedenken und eine zunehmende Belastung in den Vordergrund traten. Zu Beginn fiel ihm die starke Überfüllung in den U-Bahnen und anderen öffentlichen Plätzen auf. Das hatte jedoch auch seine positiven Seiten. Herr Berndt erzählte mir, man hätte gespürt wie die Stadt größer wurde und mit ihr die Gedanken der Menschen. Obwohl er 30 Jahre nach der Wende immer noch genau weiß, wo die Mauer entlang verlief, fühlt es sich so an, als wäre sie nie da gewesen.
Schlusswort und Fazit
Trotz anfänglicher Nervosität war ich sehr gespannt auf das Interview und ob es so verlaufen würde, wie ich es mir vorgestellt hatte. Meine Erwartungen wurden sogar noch übertroffen. Das Interview mit Herrn Berndt hat mir vor allem deswegen so gut gefallen, weil er alle meine Fragen sehr ausführlich und vor allem auf eine Weise, mit der ich nicht gerechnet hätte, beantwortet hat. Ich konnte mich gut in seine Erzählungen hineinversetzen und seine Sichtweise nachvollziehen. Ich bin erfreut darüber, dass das Interview mir vor allem dabei geholfen hat, die West-Perspektive auf das Leben mit und nach der Mauer besser zu verstehen.