„Sie haben uns an den Turnschuhen erkannt.“
Ein Interview von Cat Tien Thuy Trinh (Klasse 10a) mit Herrn Gohl (Lehrer für Bioglogie und Geografie).
Woran denken Sie, wenn jemand Sie auf den Mauerfall anspricht? Angst? Freude? Überraschung? Ob man nun in der DDR oder in der Bundesrepublik lebte, der Mauerfall spielte eine Rolle. Für Viele bedeutete der Mauerfall lang erhoffte Freiheit.
Einer dieser Menschen ist Herr Gohl, der zu dem Zeitpunkt des Mauerfalls 32 Jahre alt war. Herr Gohl lebte in Berlin-Neukölln, also in West-Berlin und ein Ereignis blieb ihm besonders im Gedächtnis: Als man ihn und einen Freund nach Geld fragte: für Schuhe.
Der große Tag und seine Bedeutung
Der 09.11.1989 begann wie jeder andere Tag, bis eine Tante abends bei ihm zuhause anrief und die Nachricht verkündete. Die erste Reaktion, die man Herrn Gohl entnehmen konnte war die schiere Ungläubigkeit und Überraschung, darüber, dass die Mauer nun endlich gefallen war. Natürlich hoffte er, dass die Mauer so schnell fallen möge wie nur möglich, jedoch erwartete Herr Gohl damals nicht, dass dies noch zu seiner Lebenszeit passiert. Der Mauerfall kam überraschend und er war ein wunderbares Geschenk. Sein erster Gedanke ging an die Freiheit: Es herrschte nun keine Abschottung und Einschränkung mehr. Natürlich gab es noch Anderes, worüber man sich hätte freuen können, wie zum Beispiel Deutschlands Wiedervereinigung, doch für ihn zählte in diesem Moment nur das Eine. Der Mauerfall bedeutete für ihn Freiraum. Er konnte nun hoffentlich ohne Probleme zwischen Westberlin und der Bundesrepublik hin- und herreisen und auch ins Umland von Berlin fahren.
Hoffnungen und Befürchtungen
Sowie Herr Gohl hoffte, dass die Mauer schnell fallen würde, so hoffte er auch, dass die Grenzen nicht wieder geschlossen werden würden, nachdem sie doch glücklicherweise geöffnet waren und er zum Beispiel durch das Brandenburger Tor gehen konnte, ohne an die vielen Kontrollen und Wartezeiten denken zu müssen, die zuvor nötig waren, um von West nach Ost zu gelangen.
Obwohl Herr Gohl zuerst nur an seine Freiheit dachte, gab es trotzdem Dinge, die bedacht werden mussten, wie Deutschlands Wiedervereinigung und die Möglichkeit, dass zwei Staaten weiterbestehen bleiben. Er stellte sich einige Fragen, wie zum Beispiel: „Wie geht es mit der DDR weiter? Wird die DDR ein eigenständiger Staat bleiben? Was war mit der angeknacksten Beziehung zwischen den beiden deutschen Staaten? Würde alles so bleiben oder sich verändern? Trotz dieser Gedanken und Fragen, gab es trotzdem Dinge, worüber er sich keine Sorgen machte. Den Gedanken, dass er Probleme mit seinem Job bekommen würde, oder dass es nun z. B. einen Mangel an Versorgung durch die Masse der Übersiedler aus der DDR geben könnte, beschäftigten ihn nicht.
Leben vor dem Mauerfall
Als Herr Gohl die Mauer das erste Mal wirklich wahrnahm, war er auf einer Klassenfahrt. Er ging auf ein Gymnasium in Braunschweig und unternahm in der 12. Klasse eine Klassenfahrt nach West-Berlin. Zu der Zeit war es so, dass es kostenlose Klassenfahrten dorthin gab. Viele Klassen aus dem Bundesgebiet, also der Bundesrepublik außerhalb West-Berlins, machten Klassenfahrten nach Berlin, um die Beziehungen zwischen Westdeutschland und dem mitten in der DDR liegenden Westberlin aufrechtzuerhalten und zu stärken und auch um den Schülern zu zeigen, wie anders Ost-Berlin war. Natürlich wurden sie vorher auf die politischen Verhältnisse vorbereitet, doch als Herr Gohl dann vor Ort war, nahm er die Mauer erst richtig wahr. Auch als er dann 1977 zum Studium nach West-Berlin zog, wurde die Mauer mit der Zeit zu etwas Alltäglichem. Am Anfang gab es noch diese Enge doch zum Ende hin löste sich das Gefühl auf. Ihm war zwar bewusst, dass die Mauer an sich eine große Sache war, doch er dachte nicht täglich über die Mauer nach. In West-Berlin gab es keine großen Probleme, man war eindeutig nicht so eingeschränkt wie in der DDR. Man erwartete keine Konsequenzen bei Meinungsäußerungen wie es sie in der DDR gab, wenn man etwas sagte, was von der politischen Führung nicht erwünscht war. Und im Gegensatz zur DDR gab es keinen Mangel an Konsumprodukten. Es gab unterschiedliche Sorten von Schuhen oder bestimmte Varianten von Lebensmittelen, die es in Ost-Berlin nicht gab. Wenn man in einen Supermarkt ging, dann konnte man die verschiedenen Sorten von Joghurt sehen. Sowas gab es in Ost-Deutschland nicht. Es war fast „Luxus“, wie Herr Gohl sagte.
Er fühlte sich sicher in West-Berlin, selbst wenn es Freunde gab, die daran zweifelten. Außerdem bemerkte er bei gelegentlichen Besuchen in Ost-Berlin, dass es dort ziemlich „marode“, wie er sagte, war. Es war zwar in der Stadtmitte herausgeputzt und es gab auch schöne Stellen, doch sobald man etwas abseits ging, sah man die ganzen beschädigten Häuser, von denen der Putz herunterfiel. Es wäre doch gefährlich in West-Berlin zu leben, so sagte man es ihm, doch er fühlte sich wohl. Das einzige große Problem war die Einschränkung in der Beweglichkeit. Jedes Mal, wenn man mal in den Osten wollte, musste man durch die Kontrollen und wenn man Pech hatte, musste man Stunden warten, um auf die andere Seite zu kommen. Es gab besondere Vorschriften für den Transitverkehr, z.B dass man nur bestimmte Strecken fahren durfte. Als er sich einmal mit Verwandten aus der DDR in Ost-Berlin traf, hätte er diese gerne zu sich in den West-Teil der Stad nach Hause eingeladen, was für diese ja unmöglich war. Er fand es unmenschlich und abartig, dass durch die Mauer so etwas nicht in Frage kam. Das war einer der Momente, in denen er sich die Mauer wirklich weg wünschte, denn grundsätzlich war sie eine große Einschränkung.
Das Leben nach dem 09.11.1989
Das Leben nach der Mauer war etwas Anderes. Die beiden „Fronten“- Ost- und West-Berlin verschmolzen miteinander. Herr Gohl erzählte von einem Tag, an dem er eine Pizza aß während er auf die Hasenheide schaute; es waren viele Leute aus dem Ostteil der Stadt dort unterwegs- man erkannte sie an den vielen Tragetaschen, die sie trugen um Einkäufe zu transportieren. Viele hatten sich wahrscheinlich das Begrüßungsgeld geholt, welches eine Art Begrüßungsgeschenk an die DDR-Bürger war. Da sie mit der DDR-Mark nicht viel anfangen konnten (sie war nicht so wertvoll wie die D-Mark) und 100 D-Mark nicht allzu viel war, wurden viele West-Berliner nach Geld gefragt. Tatsächlich wurde auch Herr Gohl gefragt. Er fragte sich im Nachhinein, woran er erkannt wurde und da fiel ihm auf, dass er und sein Freund Schuhe trugen, die es in der DDR nicht gab – sie wurden an ihren Schuhen erkannt. Diese waren ein „West- Produkt“. Es gab dann sogar jemanden, der nach dem Mauerfall an seiner Tür klingelte und ebenfalls nach Geld für Adidas-Schuhen fragte.
Einer der schönsten Aspekte am Mauerfall war für Herrn Gohl, dass dieser friedlich vollzogen werden konnte und Herr Gohl ist dankbar dafür, denn es hätte auch durchaus sein können, dass das alles gewalttätig beendet worden wäre, ähnlich dem Volksaufstand1953 in der DDR , als die protestierende Bevölkerung militärisch niedergeschlagen wurde.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Interview sehr aufschlussreich und interessant war. Ich konnte viel Neues erfahren aus der Sicht von jemandem, der in West-Berlin gelebt hat. Ich kann nun nachvollziehen, wie genau die Mauer das Leben von Herrn Gohl beeinflusste. Das Zitat „Sie haben uns an den Turnschuhen erkannt“, lässt sich damit erklären, dass es in Ost-Berlin Turnschuhe westlicher Marken nicht gab. Man konnte Ost-und West-Berliner also allein durch Kleidungsstücke unterscheiden.