„Ey, hast du schon von Honecker gehört?“
Ein Interview von Laura Pittner (Klasse 9a) mit Herrn Meister (Lehrer für Englisch und Physik).
Herr Meister wuchs in Ost-Berlin auf: Nach zwei Jahren an der Polytechnischen Oberschule „Julian Marchlewski“ wechselte er auf die „Spezialschule für Fremdsprachen Johann-Gottfried-Herder“ in Berlin-Lichtenberg. Er hatte zwei weitere Geschwister, die zwei bzw. sieben Jahre älter sind als er. Sein Bezug zu West-Berlin war, dass er eine Tante hatte. Diese kam auch manchmal zu Besuch und brachte Westgeld mit und schenkte ihm also echte D-Mark. Er war von jeher ein sparsamer Mensch, denn er gab auch selten etwas von seinem Taschengeld aus. Durch sein angespartes Geld kaufte er sich nach der Wende zum ersten Mal in West-Berlin einen Walkman, auf den er vor 1989 hin gespart hatte, um einen solchen im so genannten „Intershop“ zu kaufen. Dies waren spezielle Geschäfte in der DDR, in denen man westliche Produkte kaufen konnte. Das war natürlich etwas Besonderes, da für ihn die D-Mark wie ein Dollar war, die man nur zu besonderen Anlässen, wie zum Beispiel, Weihnachten oder Geburtstage bekam.
Erleben des 09.11.1989
Für ihn begann alles auf der Orchesterfahrt nach Stralsund. In dieser Woche dankte Erich Honecker als Staats- und Parteichef ab. Dies war 18.10.1989. Dadurch das er am Tag acht Stunden Proben hatte, hatte er von älteren Schülern mitbekommen, dass Honecker sein Amt verließ. Und dann wurde es natürlich von anderen Schülern ihm so weitererzählt: „Ey, hast du schon von Honecker gehört? – Nein, das kann nicht sein nach 20 Jahren, dass er sein Amt verlässt …“. Damals wusste er schon, und da war er vierzehn Jahre alt, dass etwas ganz Großes passieren würde. Dies bestätigte auch ein Vorfall, der im Sommer vor Honeckers Abgang stattfand. Ivonne aus seiner Klasse war plötzlich eines Tages nicht mehr da. Sie tauchte nicht mehr auf, wir sahen sie keinen einzigen Tag mehr. Ob sie noch Kontakt zu ihrer besten Freundin hatte, wusste er nicht. Natürlich war jedem wahrscheinlich klar warum sie nicht mehr da war. Sie war geflohen. Wie erwartet hatten die Lehrer kein einziges Wort darüber verloren, was mit ihr passiert war. Das war ein absolutes „No-Go“-Thema, und dies wussten auch alle Lehrer und Schüler.
Ungefähr zwei Wochen nach der vorher genannten Orchesterfahrt fand dann die erste freie Demonstration in der DDR statt. Dort wurden auch Reden gehalten, die sehr bewegend für Herrn Meister waren. Nach dieser Demo ist wahrscheinlich allen dort klar gewesen, dass wenn weniger Leute auf diese Demo gegangen wären, es dann Tote gegeben hätte haben können. Die Angst vor dem zerbrochenen System war immer noch so hoch, dass dieses Risiko bestand. Herr Meister war selbst nicht auf dieser Protestveranstaltung dabei, aber er hatte es durch das Fernsehen mitverfolgt. Deshalb schaute er seit dieser Demo jeden Tag die Nachrichten, um auf dem neusten Stand über die Geschehnisse zu sein. Herrn Meister war es klar, dass es Bedeutendes vor sich ging, dass die Mauer fallen würde, konnte er sich zu diesem Zeitpunkt aber nicht vorstellen. Seine große Schwester fuhr am Abend des 09.11.1989 schon nach West-Berlin. Herr Meister hatte mit großen Ängsten zu kämpfen, da seiner Schwester ja noch in dieser Nacht etwas passieren hätte können. Als dann am 09.11.1989 die Mauer „fiel“ war das ein sehr bewegender Tag für ihn. Seine Mutter verstarb 1988, als er 13 war. Er sagte, er würde es bis heute bedauern, dass seine Mutter den Mauerfall nicht mehr miterleben konnte, weil die Mutter, von ihm, sich ein freies Leben und nicht das Leben in der DDR gewünscht hatte. Doch trotzdem war es auch ein gutes und schönes Erlebnis, als er am Morgen des 10.11.1989 davon erfuhr. Es war regelrecht Freude pur für ihn davon zu hören.
Das erste Mal in West-Berlin nach der Wende
Genau drei Wochen nach dem Mauerfall gingen er und sein Vater zum ersten Mal nach West-Berlin. Herr Meister betrat zum ersten Mal den U-Bahnhof Jannowitzbrücke. Das war ein unvergesslicher Moment, sagte er. Damals war das wie eine Geister-U-Bahn Linie, die unbemerkt Tag ein, Tag aus, unter den Straßen von Ost-Berlin fuhr. Zum ersten Mal in dieser U-Bahn zu sitzen, und dann nach West- Berlin zu fahren, müsste also ein ziemlich epischer Moment gewesen sein. An diesem Tag fuhr Herr Meister also mit der U8 nach Neukölln, um seine Tante dort zu besuchen, wo sie wohnte. Das Erste was ihm in Neukölln auffiel, waren die tollen Obststände mit den frischen Bananen, Orangen …
Solche Läden gab es natürlich nicht in Ost-Berlin. Dort gab es nur sogenannte Delikatessen-Läden, wo man für ziemlich viel Geld mal eine Orange oder Banane kaufen hätte können. Einmal kaufte ihm seine große Schwester dort eine Büchse mit Ananasringe. Diese Büchse war dort zehn Ost-Mark teuer. Das war für Herr Meister eines der tollsten Geschenke in der DDR.
In Neukölln fiel ihm auch dieser scheinbare Wohlstand auf, wo man einfach in die Läden reingehen konnte und alles kaufen durfte und konnte, was man wollte. Doch trotz dieser schönen Dinge wirkte West-Berlin zunächst ungewohnt auf ihn, er hatte noch nie so viele verschiedene Kulturen auf engem Raum gesehen. Insbesondere gab es in der DDR kaum Berührungspunkte mit türkisch- oder arabischstämmigen Menschen. Als Ostberliner kannte er bis dahin nur die Gastarbeiter aus Vietnam und Kuba sowie die russischen Soldaten in Armeeuniform. Als er hörte, dass es in der Wilmersdorfer Straße ein Einkaufszentrum gibt, war das für ihn komisch. In Ost-Berlin gab es damals nur zwei Einkaufszentren, welche groß waren, aber im Vergleich zur Bundesrepublik ein eher beschränktes Angebot hatten. Konsum ist ihm bis heute nicht wichtig. Ihm ist bis heute wichtig, bewusst zu konsumieren: Die Lebensdauer des Produkts und die Herstellungsbedingungen sind für ihn wichtig. Mit der Konsumgesellschaft ist er nicht groß geworden, und er war diesen Wohlstand nicht gewöhnt. Außerdem bekam man nach der Wende das bekannte Begrüßungsgeld. Das waren damals so um die 100 D-Mark. Wie der Titel dieses Textes verrät, war Herr Meister ein Sparfuchs. Er legte das Geld zu seinem anderen Gespartem dazu. Somit hat er das Begrüßungsgeld nicht ausgegeben. Wie mir aber Herr Meister erzählt, hatte hat sein Bruder gerne mal sich Dinge gegönnt, und hat sich mit diesem Begrüßungsgeld Piastro-Saiten für sein Cello gekauft. Das fand Herr Meister sehr rührend, da dies ein großer Wunsch von seinem Bruder damals war.
Schulalltag in der DDR
Zuerst einmal der war Schulalltag in der DDR der Grundschule ab, schon viel strenger. Alle Lehrer waren als eine Respektperson zu sehen. Zum Beispiel rannten Herr Meister und ein Kumpel von ihm in der Grundschule über den Schulhof. Dort sah sie ein Lehrer und ermahnte sie sofort, sie sollten gehen und nicht rennen. Regelmäßig am Unterrichtsbeginn sollten zwei Schüler, die einen Meldedienst hatten, dem Lehrer sagen, ob die Klasse vollständig wäre oder nicht. Herr Meister findet auch zurückblickend die Schule von früher viel mehr disziplinierter und gehorsamer als heute. Das sieht er nicht unbedingt in einem guten Licht, da man im jungen Alter somit viel mehr gedrillt wurde. Heutzutage, erzählte Herr Meister, würden auch Eltern bei solchen Diensten mit den Lehrern in Kontakt treten, um so etwas abzuschaffen. Neben dem regulären Unterricht gab es auch noch die Organisation der Jungpioniere. Es wurde so gesehen von ihm erwartet, dass er diesem Verein beitritt, da man sonst Negativ in diesem System auffallen würde. Natürlich war er als kleiner Junge sehr stolz darauf, dort sein zu dürfen, da so ein Gleichheitsgefühl entstand. Alle vierzehn Tage mussten die Eltern von den Jungpionieren einen Nachmittag planen, da er wahrscheinlich sonst nur ein langweiliges politisches Gespräch entstanden wäre. Die Mutter von Herr Meister veranstaltete zum Beispiel öfters mal eine Disco, um diese Nachmittage spannender zu machen. Dies war einer dieser Aktivitäten, die er großartig früher fand. Später aber verstand er erst, dass dieser Verein mal im Gleichschritt enden sollte, was er natürlich als kritisch sah. Nachfolgend war er in der Schule in einer Musikschule angemeldet, wo er Bratsche lernte. Diese Musikschule war anders wie Sport. Es war eine unpolitische Freizeitaktivität. Dort fanden dann auch die, wie oben genannt, Orchesterfahrten statt.
Kurzbiografie nach der Wende
Nach der Wende waren seine Schwiegereltern und sein Vater einer der Wenigen, die noch einen Job besaßen. Sein Vater war Bauingenieur und arbeitete in einem staatlichen Baubetrieb vor der Wende. Nach dem Mauerfall löste sich aber dieser Baubetrieb auf und deshalb wurden viele Menschen arbeitslos. Sein Vater hatte aber Glück, denn er kannte einen alten Studenten Kumpel, mit dem er dann eine neue Firma in West-Berlin eröffnete. Die Kumpels von Herr Meister wollten nach dem Abitur erstmal einen festen Job bekommen, wie zum Beispiel Bankkaufmann oder Mechatroniker, um eine feste Geldeinnahmequelle zu besitzen. Allerdings hatte Herr Meister lange überlegt, was er einmal studieren möchte und kam zu dem Entschluss, dass er Medizin studieren möchte. Dieses Studium brach er aber nach dem zweiten Semester wieder ab, weil er merkte, dass der Beruf des Arztes gar nicht so sein Ding war. Danach wurde ihm klar, dass er später einmal auf Lehramt studieren möchte, um Lehrer sein zu können.
Mein Fazit
Ich finde, dass Herr Meister eine sehr schicksalsreiche Vergangenheit hat, die aber zugleich irgendwie ein gewisses Etwas hat. Ich finde es toll, dass er früher so ein Sparfuchs war, da er dann seinen gewünschten Walkman kaufen konnte. Zurückblickend auf das Interview habe ich vieles Neues über die DDR kennengelernt und ich konnte mir somit mein Bild über die DDR erweitern. Außerdem war das Gespräch sehr angenehm und Herr Meister war ein toller Gesprächspartner.
„Macht euch bewusst was für ein tolles System wir hier eigentlich haben und engagiert euch unbedingt.“
Dieses Zitat blieb für mich am meisten in dem Interview hängen, da ich es sehr motivierend finde. Außerdem würde ich mir wünschen, dass so viele Leute wie möglich dieses Zitat sehen.