„Wow, irgendwie das, was ich am Abend vorher im Fernsehen gesehen hab, ist wirklich passiert.“
Ein Interview von David Edin (Klasse 9a) mit Herrn Dr. Weber (Lehrer für Physik und Biologie).
Wenn man in die DDR einreisen oder über die Transitstrecken fahren wollte, wurde man an den Grenzübergängen manchmal ohne erkennbaren Grund rausgewunken, kontrolliert und hat auch gar nicht erfahren warum. Vor dem Mauerfall und der Wiedervereinigung Deutschlands wurden Thomas Weber und seine Familie mitten in der Nacht auf der Autobahn rausgewunken und standen erstmal zwei Stunden, bis irgendwann ein Polizist kam und ihre Papiere mitnahm. Und dann standen sie wieder eine halbe Stunde und warteten.
Erleben des Mauerfalls
Herr Weber hat den Mauerfall in der Wohnung seiner Eltern als 21-Jähriger Student in West-Berlin durch das Fernsehen mitbekommen. An der Mauer und in Ost-Berlin waren er und seine Eltern am 9. November 1989 zwar nicht, aus Befürchtung, dass die Grenze erneut geschlossen werden könnte. Freude über den Mauerfall empfanden sie aber trotzdem.
Herr Weber hatte am Morgen nach dem 9. November einen Zahnarzttermin. Als er zu seinem Zahnarzt am Kurfürstendamm ging, bemerkte er eine seltsame Stimmung und empfand, dass die Straßen relativ menschenleer waren. Dennoch kamen ihm auf dem Weg, neben Autos aus Ost-Berlin („Trabis“), die er mittlerweile mit dem Mauerfall verbindet, auch Menschen entgegen, die nach dem Weg fragten. Am selben Tag oder einen Tag später, ging Herr Weber Richtung Brandenburger Tor und sah, wie Menschen auf der Mauer saßen und Mauerstücke raushämmerten. Außerdem ging er relativ rasch nach dem Mauerfall auch ins Naturkundemuseum und sich mit seinen Kommilitonen gewundert, dass der Eintritt umsonst war oder nur ganz wenig kostete. Zwei, drei Wochen später fuhr er nochmal nach Ost-Berlin, ging in eine Buchhandlung und sah, dass es gute Fachbücher viel günstiger als in der Bundesrepublik zu kaufen gab.
Mauerfall – Was jetzt?
Vor 1989 hatte er nicht gedacht, dass die Teilung Deutschlands zu Ende sein könne. Für Thomas Weber war es nach dem Mauerfall sehr vorteilhaft, dass er und seine Familie jetzt ins Berliner Umland fahren konnten und das Gefühl hatten, neue Dinge in ihrer Umgebung zu entdecken. Er musste dann nicht mehr zwei Stunden oder mehr fahren, um irgendwie in ein schönes Wandergebiet wie den Harz zu kommen. Man konnte jetzt nach Brandenburg und dort irgendwo an einen See fahren. Diese neue Art der Reisefreiheit durch den Mauerfall bescherte ihm in den Folgejahren nach dem Fall der Mauer tolle Erlebnisse, die er auch mit dem Ereignis an sich verknüpft. Dazu kamen auch Dinge, die er in der DDR als spannend wahrnahm; So zum Beispiel die „Runde Tische“, die seit Anfang Dezember 1989 in allen Bezirken der DDR eine politische Partizipation alternativer Kräfte nben der Regierungspartei SED, ermöglichten. Wichtig zu wissen ist, dass es in der Übergangszeit von der Diktatur zur Demokratie in der DDR Menschen gab, die in großen Mengen auf der Straße ihre Forderungen bekundet haben, wie eben die Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 in Leipzig. Das waren Dinge, die er sich auch im vereinigten Deutschland weiterhin und mehr gewünscht hätte.
Zum Zeitpunkt um den 9. November war sehr unklar, was mit der DDR passieren würde. Im Umfeld von Herrn Weber gab es vor allem die Hoffnung, dass aus der DDR, welche als ein undemokratischer Staat angesehen wurde, ein demokratischer Staat werden könne, in dem Menschen frei darüber entscheiden, wie sie vertreten werden und welche politischen Ziele sie verfolgen.
Außerdem fand er die politische Stimmung unter der Regierung des konservativen CDU-Bundeskanzlers Helmut Kohl vor dem Mauerfall nicht so angenehm. Auch hier ist das Wissen über den historischen Kontext bedeutsam: Die Regierungszeit von Kohl war vor allem zu Beginn geprägt durch die Angst vor einem Atomkrieg. In den späten Achtzigern wurde Kohl noch umstrittener. Nach dem Mauerfall präsentierte er dann sein Zehn-Punkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und wird heute deswegen immer noch als „Einheitskanzler“ betitelt.
Thomas Weber hatte das Gefühl, es bewegte sich nicht viel, dass es eine Zeit war, in der eher wenige neue politische Ideen eine Chance hatten. Seine Hoffnung war, dass sich eventuell die politische Stimmung zu einer verändern würde, die mehr Offenheit für Neues mit sich bringt.
Abseits der Hoffnungen gab es auch gewisse Befürchtungen, wie, dass die Grenzen wieder geschlossen werden würden, dass es eine gewaltsame Niederschlagung der friedlichen Revolution gebern könnte.
Unterschiede zwischen DDR und der BR im Alltag vor dem Mauerfall
Im Alltag in der Bundesrepublik hatte Thomas Weber meistens die Mauer als Begrenzung zum Beispiel bei Reisen wahrgenommen. Er hatte die Ursachen, die zum Fall geführt hatten intensiv in den Nachrichten verfolgt, wie zum Beispiel die Ausreise über Ungarn im September desselben Jahres. Sonst war die Mauer im Alltag nicht viel mehr als eine Begrenzung. Mit der Außnahme, dass seine Familie gelegentlich in die DDR einreiste, zum Beispiel,weil sein Opa in einem Altersheim in Luckau wohnte, welches von der Ausstattung her im Vergleich zur Bundesrepublik als eher einfach wirkte. Außerdem fand er, einige Gebäude in der DDR sähen sehr grau aus, da er eher an die bunte Werbewelt mit den Plakaten gewöhnt war. Ein anderer Unterschied war auch die Bauweise der so genannten „Platenbauten“ (die in der DDR allerdings Neubauten genannt wurden, da der Begriff Plattenbauten erst nach 1989 gängig wurde), die in der DDR verbreitet waren, er so aber nicht kannte. Hinzu kam auch die unterschiedliche Kleidung. Als Jugendlicher bemerkte er, dass Ostdeutsche keine Markenklamotten trugen wie die Westdeutschen. Er nahm die Menschen aus der DDR als sehr herzlich wahr und bekam auch mit, dass zum Beispiel die politische Situation in der DDR und die Beschwerden oft Gesprächsthemen waren.
Kurzbiografie
Herr Weber war zur Zeit des Mauerfalls 21 Jahre alt und absolviert ein Lehramtsstudium in den Fächern Biologie und Physik an der Technischen Universität Berlin, lebte bei seinen Eltern. Nach dem Mauerfall veränderte sich sein Leben tatsächlich nicht so viel. Er hatte aber das Gefühl, dass sich West- und Ost-Berliner eher etwas misstrauisch gegenüber verhalten haben und dass es auch Neid-Reaktionen gegeben hat, da die DDR-Bürger damals 100 D-Mark Begrüßungsgeld bekamen. Viele in seinem Umfeld waren darüber empört, dass man durch das Geld, welches man in der DDR ansparen konnte, einen Vorteil hatte, da der Wechselkurs nach der Währungsunion zwischen DDR und Bundesrepublik vom 01.07.1990 von Mark der DDR zur D-Mark für eine bestimmte Summe 1:1, ab einen bestimmten Betrag dann aber 1:2 betrug.
Für Thomas Weber schien es außerdem so, als ob das politische System aus der Bundesrepublik Deutschland genauso im vereinten Deutschland übernommen wurde und dass erst sehr langsam und viel später, Errungenschaften aus der DDR Einfluss gewinnen konnten, wie zum Beispiel im Schulsystem die Gemeinschaftsschulen oder eine Diskussion über eine Impfpflicht.
Die Erfahrung an der Grenzkontrolle hat aus meiner Perspektive ziemlich gut gezeigt, welche Rolle die Mauer in Thomas Webers Leben damals gespielt hat, dass er sie besonders bei Reisen spürte. Das Zitat, welches auch die Überschrift für Thomas Webers “Mauer-Geschichte” ist, hat ebenfalls gezeigt, was für eine große Veränderung der Fall der Mauer war, obwohl sich sein Lebensweg fast gar nicht direkt verändert hat. Es ist ein interessanter Einblick in die Perspektive von einem West-Berliner Studenten zur Zeit des Mauerfalls gewesen.