Ein Beitrag von Chahed
Ich war noch nie bei einer fremden Person zu Hause. Bis jetzt war ich nur bei Familienmitgliedern und Freunden zu Hause.
Am 15.12.2022 haben wir eine Exkursion zu jüdischen Orten in Berlin-Mitte gemacht. Zuerst war es geplant, in eine Synagoge zu gehen, aber das war nicht möglich. Dann hat die 90-jährige Holocaust-Überlebende Salomea Genin uns kurzfristig herzlich bei sich aufgenommen.
Ich fand es erst komisch, dass ich plötzlich bei einer fremden Person zu Hause war. Es war ungewohnt, dass wir unsere Jacken nicht aufgehängt, sondern auf ihr Bett gelegt haben. Ihre Wohnung war warm, was sehr schön war, da wir vorher lange draußen in der Kälte gewesen waren.
Man erkannte, dass in der Wohnung eine ältere Frau lebte, weil die Wohnung altmodisch eingerichtet war, das kenne ich auch von meiner Oma. Ich habe in der Wohnung von Salomea viele jüdische Dinge gesehen, wie zum Beispiel zwei Chanukkaleuchter. Ich habe auch Bilder und Auszeichnungen von Salomea gesehen.
Als Kind erlebte Salomea das nationalsozialistische Deutschland
Als Kind lebte Salomea in Berlin und dann eine Zeitlang in Australien. Nach all dieser Zeit kann sie immer noch fließend Englisch sprechen. Salomea heißt so, weil ihr Großvater Salomon hieß und Salomea die weibliche Form von Salomon ist.
Salomea hat uns erzählt, dass am 04.12.1938 Jüdinnen und Juden zwischen 12 und 20 Uhr das Haus nicht verlassen durften, weil die Nationalsozialisten diesen Tag zum „Tag der Nationalen Solidarität“ erklärt hatten, an dem die Leute Geld gesammelt haben für die armen „deutschen“ Menschen. Salomeas Mutter wollte, dass sie etwas besorgt an dem Tag und hat Salomea dann rausgeschickt, da sie ja ein Kind war und sie niemand bemerken würde.
Als sie auf dem Weg nach Hause war, hat ein Junge sie gesehen, den sie nur vom Sehen her kannte und nicht persönlich. Er baute sich vor ihr auf und schrie sie an: „Was machst du denn hier, du hast heute doch hier nichts zu suchen!“ Sie sagte uns, dass sie vor Angst erstarrte und nicht antwortete und er schrie sie dann nochmal an: „Wenn du hier nicht sofort verschwindest und ich dich noch einmal sehe, dann melde ich dich der Kreisleitung!“
Salomea erzählte uns, dass ihre Eltern sich 1936 getrennt haben. Ihr Vater war sehr krank, was niemand wusste. Ihre Schwester Franziska hatte eine Beziehung mit einem Nicht-Juden. Im Dritten Reich duften Juden und Nicht-Juden keine Beziehung führen. Ein Mann hat der Polizei erzählt, dass die Tochter seiner Vermieterin (Salomeas Mutter) eine Beziehung mit einem Nicht-Juden führte. Deshalb war sie in Gefahr und musste schnell raus aus Deutschland.
1939 verließ die Familie Deutschland
Am 05.01.1939 verließ Franziska Deutschland und damit auch die Liebe ihres Lebens. Im Juni 1939 folgten ihr Salomea, ihre andere Schwester und ihre Mutter nach Melbourne in Australien. Auch ihr Vater verließ Deutschland und ging nach Shanghai in China. Salomea hat ihn nie wieder gesehen.
Salomea hat uns sehr viel über ihrer Leben erzählt, was echt krass ist, weil sie so etwas erlebt hat und sie es auch überlebt hat und ihre Geschichte weiter erzählen kann.
Ich hab mich für dieses Thema entschieden, weil ich fand, dass es ein schöner Tag war, an dem wir die Parallelklasse besser kennengelernt haben. Wir hatten Spaß, obwohl es sehr kalt war. Bei Salomea war es schön warm und ich fand es nett von ihr, dass sie uns so spontan eingeladen und ihre Geschichte erzählt hat.